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Texterörterung

Überall daheim

HUBERT KALTENBACH

  In der paradiesischen Ferien-
welt will jeder frei sein, seine Ge-
fühle ausleben und vor allem von
niemandem gegängelt werden.
Der Urlaub als Sinnbild des Para-
dieses, als Mythos eines erfüllten
Lebens.
  Übersehen wird dabei, daß wir
in einer perfekt inszenierten Kon-
sumwelt landen, in der die Ur-
laubsmacher das Sagen haben.
Ihre verführerische Werbespra-
che weckt unsere geheimen Lü-
ste, und ihren globalen Vermark-
tungsstrategien vertrauen wir uns
blind an. Sie sorgen für einen opti-
malen Produktionsablauf, sie be-
stimmen, wo die schönsten
Strände liegen. Die Paradiese wer-
den dort eröffnet, wo sie von den
Veranstaltern als profitabel ausge-
wählt worden sind.
  Die zunehmende Standardisie-
rung der Ferienräume erübrigt
darüber hinaus immer mehr die
Überlegung, wohin denn die
Reise gehen soII. Die Hotelpaläste
in Cancun unterscheiden sich
kaum noch von denen auf Mallor-
ca. Das Paradies ist austauschbar.
Also entscheiden der Preis und
der Bauch, wohin es den in den
Ferien gehen soll.
  Die industrialisierte Urlaubs-
form setzt sich immer mehr
durch. Jede zweite Reise ist inzwi-
schen eine Pauschalreise.....
  Selbstbestimmte Formen des
Reisens gelten als zunehmend ver-
staubt, perfekt inszenierte Ur-
laubswelten, in denen die Einge-
borenen auf Befehl für uns tan-
zen, liegen im Trend. Angesteuert
wird der vertraute Kreis der gro-
ßen Reisefamilie, in der man um-
hätschelt und rundum versorgt
wird. Eigentlich schade.




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  Die Ferien sind da. Die halbe
Nation ist unterwegs zu Zielen,
die den meisten schon längst ver-
traut sind. Etwas zugespitzt for-
muliert, sind uns die Strände an
Europas Gestaden zur zweiten
Heimat geworden. Es sind Orte,
wo im Bayernstadl Wiener Schnit-
zel serviert wird, und Giovanni
das "ozapfte" Bayern-Bier auf den
Tisch stellt.
  Ob es den Einheimischen paßt
oder nicht, von Tabus wollen wir
an unserem Urlaubsziel nichts
wissen. Die Hüllen fallen dort, wo
wir es wollen. Was kürmmern uns
die Rufe des Muezzins in Ma-
rokko, wenn wir uns eine nahtlose
Bräune verpassen wollen. Ob Ba-
learen oder Yukatan, die Urlaubs-
gebiete haben wir uns nach unse-
ren. Bedürfnissen angeeignet.
An den Stränden des touristi-
schen Universums ist es nicht nur
sonniger und billiger als zu
Hause, sondern auch viel beque-
mer. Die Betten sind gemacht, das
Essen steht auf dern Tisch, die
Strände werden gesäubert, der
Golfrasen ist gemäht.
  Hatte der Schriftsteller Magnus
Enzensberger in den 50er Jahren
Tourisrnus noch als "eine einzige
Fluchtbewegung aus der Wirklich-
keit, mit der unsere Gesellschafts-
verfassung uns umstellt", bezeich-
net, so hat sich das Massenphäno-
men Tourismus heute eher ins Ge-
genteil verkehrt. Die Touristen
flüchten nicht, sie kommen über-
alI heim.





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aus: Gmünder Tagespost, 29.07.1999

Arbeitsanweisungen


Lösungsvorschlag von Ingo FALK

Hubert Kaltenbach hat für die Gmünder Tagespost den Artikel Überall daheim verfasst. Der Artikel wurde am 29. Juli 1999 veröffentlicht und behandelt den modernen Massentourismus und seine Folgen.

Der Autor stellt einleitend (Zeilen 1 - 11) die zunehmende Gleichheit zwischen den Urlaubszielen und der Heimat fest. Ferner ist er der Meinung, dass der moderne Massentourist keine Rücksichtnahme auf die Einheimischen kenne (Zeilen 12 - 22). Im Folgenden nennt er den niedrigen Preis und die Bequemlichkeit als Ursache für den Massentourismus (Zeilen 23 - 30). Herr Kaltenbach weist anschließend auf eine deutliche Veränderung zum Tourismus früherer Jahrzehnte hin. Die Touristen würden nicht vor dem Alltag flüchten, sondern wollten sich überall heimisch fühlen (Zeilen 31 - 41). Den Traum von individueller Lebensfreude entlarvt er außerdem als kritikloses Konsumieren der stereotypen Produkte der Tourismusindustrie (Zeilen 42 - 63). Der Journalist kommt weiterhin zu der Ansicht, dass die Einzigartigkeit der Gastländer in den Tourismuszentren kaum noch erkennbar sei (Zeilen 64 - 74) und sich diese Form des Massentourismus immer mehr durchsetze (Zeilen 75 - 78). Abschließend konstatiert Hubert Kaltenbach bedauernd, dass individuelle Urlaubsgestaltung aus der Mode sei und stattdessen Urlaub als positives Massenerlebnis empfunden würde (Zeilen 79 - 88).

Zunächst stellt sich jedoch die Frage, ob jeder Pauschalurlaub wirklich automatisch ein Reisen im "vertrauten Kreis der großen Reisefamilie" (Zeile 85f.) ist. Wo überhaupt liegt denn die Grenze zwischen "selbstbestimmtem" (Zeile 79) und "perfekt inszeniertem" (Zeile 81) Reisen? Ist etwa jeder, der ein Reisebüro betritt, automatisch ein Massentourist? Soll es denn verwerflich sein, zu "längst vertrauten Zielen" (Zeile 2ff.) oder sogar zur "zweiten Heimat" (Zeile 6f.) zu reisen? Schließlich muss dies doch unserer Erholung keinen Abbruch tun. Natürlich verlangen wir als zahlende Kunden eine gewisse Berücksichtigung "unserer Bedürfnisse" (Zeile 21f.) und mehr "Bequemlichkeit" (Zeile 26) als zu Hause, sonst bräuchten wir doch nicht zu vereisen. Auch gehen doch die "Tabus" der "Einheimischen" (Zeile 12f.) nur soweit, bis sie das optimale Ausschöpfen der Einnahmequelle Tourismus behindern. Gerade in den muslimischen Reiseländern ist dies doch deutlich zu beobachten. Warum soll dieser Tourismus überhaupt ein so negatives "Massenphänomen" (Zeile 37) sein? Es kann doch nicht jeder mit dem Privatjet in ferne Länder fliegen, selbst wenn er es sich leisten könnte. Man kann doch auch die Pauschalreise mit gutorganisierter An- und Abreise, Hotelunterkunft und Verpflegung als Basis zur individuellen Erkundung des Urlaubslandes nutzen. Nur so erreicht man doch die Sehenswürdigkeiten oder örtlichen Besonderheiten mit vertretbarem finanziellen Aufwand.

Doch genau hier setzt die Kritik von Herrn Kaltenbach an. Er zeigt deutlich auf, dass ein Ausscheren aus der "perfekt inszenierten Konsumwelt" (Zeile 50f.) reine Illusion ist. Nicht wir bestimmen, was erholsam für uns ist, sondern die "Werbesprache" (Zeile 53f.) suggeriert uns zum Beispiel Erholung in Fahrten mit dem gemieteten Geländewagen. Auf der eingeimpften Suche nach Grenzerfahrungen und Nervenkitzel betreiben wir Pseudosportarten wie "Canyoning" oder "Funcarving" und tun dabei doch nur genau das, was die "Vermarktungsstrategien" (Zeile 55f.) für uns vorgesehen haben. Nicht wir bestimmen, was sehenswert ist, sondern "Veranstalter" (Zeile 62f.) präsentieren uns Sehenswürdigkeiten in perfekt erschlossenen, klischeehaften Bilderbuchlandschaften. Wenn wir mit gepanzerten Wagen durch Nationalparks fahren und wilde Tiere in ihrer Umgebung stören, glauben wir auch noch an ein besonderes Naturerlebnis. Nicht wir bestimmen, worauf wir Lust haben, sondern "Urlaubsmacher" (Zeile 51f.) "wecken unsere geheimen Lüste" (Zeile 54f.). Wir quälen uns entgegen allen Empfehlungen der Mediziner in sengender Hitze an Pools und Stränden und sprechen dabei auch noch von Entspannung.

Könnten wir uns nämlich wirklich von der "Standardisierung der Ferienräume" (Zeile 64f.) befreien, würden wir schnell feststellen, dass das "Paradies" tatsächlich "austauschbar" (Zeile 71f.) ist. Wir müssten zu der Erkenntnis kommen, dass Erholung als körperlicher und seelischer Ausgleich von Alltagsbelastungen mit ganz wenigen Mitteln, in unserer unmittelbaren Umgebung zu finden ist. Jedoch kaum einer kennt heute noch seine heimatliche Landschaft, ihre Geschichte und geografische Entstehung. Wer erkennt schon das Erreichen selbstgesteckter Ziele beispielsweise einer einfachen Fußwanderung als die wahre Zerstreuung, nach der wir uns so sehnen? Nicht die Entfernung unseres Reiseziels von der Heimat entscheidet doch über den Erholungswert des Urlaubs, sondern dass wir die Zwänge und Erwartungen unseres medien- und konsumgeprägten Alltags nicht mit auf die Reise nehmen.

Wenn man also dem Verfasser des Artikels einen Vorwurf machen könnte, so den, nicht weit genug mit seinen Schlussfolgerungen gegangen zu sein. Seiner Grundaussage kann ich mich jedoch nur anschließen: Der Tourist von heute möchte "überall daheim" sein, weil alles was ihm laut den Anpreisungen der Tourismusindustrie zu seiner Erholung zu fehlen scheint, nur die geografische Lage seines Aufenthaltsortes sei, nicht aber der Mut, selbst die Initiative zu ergreifen.

Luxus - woher, und wohin damit?

Hans Magnus Enzensberger

Enzensberger geht von der Frage aus, "ob der private Luxus überhaupt noch eine Zukunft hat."





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Alles, was sich dazu sagen läßt, können nur Vermutungen sein. Ich vermute al-
so, daß es ganz andere Prioritäten sein werden, um die es bei künftigen Vertei-
lungskämpfen geht. Knapp, selten, teuer und begehrenswert sind im Zeichen des
wuchernden Konsums nicht schnelle Automobile und goldene Armbanduhren,
Champagnerkisten und Parfums, Dinge, die an jeder Straßenecke zu haben sind,
sondern elementare Lebensvoraussetzungen wie Ruhe, gutes Wasser und genügend
Platz.
Merkwürdige Umkehrung einer Logik der Wünsche: Der Luxus der Zukunft ver-
abschiedet sich vom Überflüssigen und strebt nach dem Notwendigen, von dem zu
befürchten ist, daß es nur noch den Wenigsten zu Gebote stehen wird. Das, worauf
es ankommt, hat kein Duty Free Shop zu bieten:
1. Die Zeit. Sie ist das wichtigste aller Luxusgüter. Bizarrerweise sind es gerade die
Funktionseliten, die über ihre eigene Lebenszeit am wenigsten frei verfügen kön-
nen. Das ist nicht in erster Linie eine quantitative Frage, obwohl viele Angehörige
dieser Schicht bis zu achtzig Stunden in der Woche arbeiten; viel eher sind es ihre
vielfältigen Abhängigkeiten, die sie versklaven. Man erwartet von ihnen, daß sie
jederzeit erreichbar sind und auf Abruf bereitstehen. Im übrigen sind sie an Ter-
minkalender gebunden, die auf Jahre hinaus in die Zukunft reichen.
Aber auch andere Berufstätige sind an Regelungen gebunden, die ihre Zeitsouve-
ränität auf ein Minimum beschränken. Arbeiter hängen von Maschinenlaufzeiten,
Hausfrauen von absurden Ladenschlußzeiten, Eltern von den Verfügungen der
Schule ab, und fast alle sind auf Pendelfahrten zu den Spitzenverkehrszeiten ange-
wiesen. Unter solchen Bedingungen lebt luxuriös, wer stets Zeit hat, aber nur für
das, womit er sich beschäftigen will, und wer selber darüber entscheiden kann, was
er mit seiner Zeit tut, wieviel er tut, wann und wo er es tut.
2. Die Aufmerksamkeit. Auch sie ist ein knappes Gut, um dessen Verteilung sämt-
liche Medien erbittert kämpfen. Im Gerangel von Geld und Politik, Sport und
Kunst, Technik und Werbung bleibt wenig von ihr übrig. Nur wer sich diesen Zu-
mutungen entzieht und das Rauschen der Kanäle abschaltet, kann selbst darüber
entscheiden, was Aufmerksamkeit verdient und was nicht. Unter dem Trommel-
feuer arbiträrer1) Informationen nehmen unsere sinnlichen und kognitiven Fähig-
keiten ab; sie wachsen mit der Reduktion auf das und nur das, was wir selber se-
hen, hören, fühlen und wissen wollen. Auch darin kann man ein Moment von Lu-
xus sehen.
3. Der Raum. Was für die Ökonomie der Zeit der Terminkalender, ist für die des
Raumes der Stau. Im übertragenen Sinn ist er allgegenwärtig. Steigende Mieten,
Wohnungsnot, überfüllte Verkehrsmittel, Gedrängel in den Fußgängerzonen, Frei-
bädern, Diskotheken, Touristenzonen zeigen eine Uerdichtung der Lebensverhält-
nisse an, die an Freiheitsberaubung grenzt. Wer sich dieser Käfighaltung entziehen
kann, lebt luxuriös. Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich aus dem Warenberg
freizuschaufeln. Meist ist die ohnehin viel zu kleine Wohnung mit Möbeln, Gerä-
ten, Nippes und Klamotten verbarrikadiert. Was fehlt, ist jener Überfluß an Platz,
der die freie Bewegung überhaupt erst möglich macht. Heute wirkt ein Zimmer lu-
xuriös, wenn es leer ist.
4. Die Ruhe. Auch sie ist ein Grundbedürfnis, das immer schwerer zu stillen ist.
Wer den allgegenwärtigen Krach vermeiden will, muß einen hohen Aufwand trei-
ben. Wohnungen kosten in der Regel umso mehr, je ruhiger sie sind; Restaurants,
die ihren Gästen nicht mit Gedudel in den Ohren liegen, fordern dafür, daß sie auf
diese Belästigung verzichten, höhere Preise. Der tobende Verkehr, das Heulen der
Sirenen, das Knattern der Hubschrauber, die dröhnende Stereoanlage des Nach-
barn, die monatelang wummernden Straßenfeste - Luxus genießt, wer sich all dem
entziehen kann.
5. Die Umwelt. Daß man die Luft atmen und das Wasser trinken kann, daß es nicht
qualmt und nicht stinkt, ist bekanntermaßen keine Selbstverständlichkeit, sondern
ein Privileg, an dem immer weniger Menschen teilhaben. Wer sie nicht selbst er-
zeugt, muß Lebensmittel, die nicht vergiftet sind, teuer bezahlen. Den Risiken für
Leib und Leben am Arbeitsplatz, im Verkehr und im gemeingefährlichen Freizeit-
rummel aus dem Weg zu gehen, dürfte den meisten schwerfallen. Auch in dieser
Hinsicht sind es die Möglichkeiten des Rückzugs, die immer knapper werden.
[...]
Alles in allem laufen diese Mutmaßungen auf eine Kehrtwendung hinaus, die reich
an Ironien ist. Wenn sie etwas für sich haben, dann liegt die Zukunft des Luxus
nicht wie bisher in der Vermehrung, sondern in der Verminderung, nicht in der
Anhäufung, sondern in der Vermeidung.

Aus: Hans Magnus Enzensberger (geb. 1929): Luxus - woher, und wohin damit? (Auszug)

Worterklärung:

1) "arbiträrer": beliebiger

Arbeitsanweisungen


Lösungsvorschlag von Ingo FALK

"Hat der private Luxus überhaupt noch eine Zukunft?" - ausgehend von dieser Frage hat der 1929 geborene Autor Hans Magnus Enzensberger die Abhandlung "Luxus - woher, und wohin damit?" geschrieben, die hier in Auszügen vorliegt. Die Abhandlung beschäftigt sich damit, was wohl die Zielsetzungen künftiger Gesellschaften sind.

Einleitend (Zeilen 1 - 7) weist Enzensberger darauf hin, dass all seine dargelegten Überlegungen "nur Vermutungen" (Zeile 1f.) seien, und er geht anschließend von einer Abkehr von traditionellen Luxusvorstellungen in der Zukunft aus (Zeilen 8 - 11). Als "wichtigstes aller Luxusgüter" (Zeile 12) benennt er nun die Lebenszeit der Menschen, die in immer stärker zunehmenden Verflechtungen und Abhängigkeiten der Individuen untereinander immer kostbarer werde (Zeilen 12 - 25). Der zweite wichtige Aspekt sei daraufhin die "Aufmerksamkeit" (Zeile 26) in einer steigenden Informationsflut der künftigen Kommunikationsgesellschaft (Zeilen 26 - 34). Im Folgenden stellt der Autor den "Raum" (Zeile 35) als Synonym für Einengung des Menschen angesichts steigender Mobilität bei gleichzeitig steigendem Platzbedarf dar (Zeilen 35 - 44). Des Weiteren erscheint für ihn akustische "Ruhe" (Zeile 45) als kostbares Gut, da die menschliche Gesellschaft immer mehr und immer lautere Geräusche produziere (Zeilen 45 - 52). Letzter Gesichtspunkt ist seiner Meinung nach "die Umwelt" (Zeile 53), mit der Enzensberger auch die Auswirkungen der Gesellschaft auf Gesundheit und Wohlbefinden des Einzelnen meint (Zeilen 53 - 59). Zum Abschluss wiederholt er noch einmal seine These vom erforderlichen Wertewandel mit anderen Worten und geht dabei vor allem auf die quantitative Sichtweise ein (Zeilen 61 - 64).

Es stellt sich zunächst die Frage, ob die von Hans Magnus Enzensberger angeführten "Prioritäten" (Zeile 2) nach ihrer Relevanz tatsächlich in dieser Reihenfolge zu nennen sind. Unstrittig scheint die Zeit höchste Priorität zu genießen. Die geistige Informationsverarbeitung in der zukünftigen Mediengesellschaft ergibt sich folgerichtig direkt als zweiter Punkt daraus. Obwohl mit fortschreitender Zahl der Aspekte die Grenzen zwischen ihnen fließender werden, erscheint es als unlogisch, die Umweltproblematik als letzten Punkt anzusetzen. Gerade hier zeigen sich doch noch deutlicher als bei der Zeit die "vielfältigen Abhängigkeiten" (Zeile 16), denen sich nur wenige entziehen können werden.

Die von Enzensberger aufgestellte These "nicht [...] Vermehrung, sondern [...] Verminderung" (Zeile 63f.) kann beispielhaft an Punkt 3 "Der Raum" (Zeile 35) verdeutlicht werden. Er macht hierbei anschaulich, dass eine immer stärker werdende Mobilität des Menschen eher zu einer "Verdichtung der Lebensverhältnisse" (Zeile 38ff.) führt, anstatt dem Individuum zu mehr Freiräumen zu verhelfen. Gemeint ist hier der drohende Verkehrsinfarkt in den Ballungszentren. Sehr gut nachvollziehbar zeigt er dies auch am scheinbaren Mangel an Wohnraum auf, der zum großen Teil einfach verschwendet wird, um mehr oder weniger überflüssige Konsumprodukte aufzubewahren.

Trotzdem der Autor Hans Magnus Enzensberger bereits einleitend auf den hypothetischen Charakter seiner Einlassungen hinweist, lesen sich diese doch eher wie eine Beschreibung des Istzustandes. Voraussetzung ist nur die Erkenntnis, dass es sich bei diesen "Prioritäten" um "Luxus" handelt. Hätte er deshalb auf einzelne individuelle persönliche Wertungen, wie zum Beispiel "absurde Ladenschlusszeiten" (Zeile 21), verzichtet, müsste man sich seinen Schlussfolgerungen fast zwangsläufig anschließen.