Johann Wolfgang Goethe
     | 
  
  
    Götz von Berlichingen
     | 
  
  
       | 
  
  
    Literarischer
    Aufsatz 1
     | 
  
  
    | Textstelle: Seite 29, Zeile 31 -
    Seite 32, Zeile 16 | 
  
  
    J a g s t h a u s e n  
    Maria. Weislingen.  
    M a r i a. Ihr liebt mich, sagt Ihr. Ich glaub es gerne und 
      hoffe, mit Euch glücklich zu sein und Euch glücklich zu 
      machen. 
    W e i s l i n g e n. Ich fühle nichts, als nur daß ich ganz 
      dein bin. (Er umarmt sie.)  
    M a r i a. Ich bitte Euch, laßt mich. Einen Kuß hab ich 
      Euch zum Gottespfennig erlaubt; Ihr scheint aber 
      schon von dem Besitz nehmen zu wollen, was nur 
      unter Bedingungen Euer ist. 
    W e i s l i n g e n. Ihr seid zu streng, Maria! Unschuldige 
      Liebe erfreut die Gottheit, statt sie zu beleidigen. 
    M a r i a. Es sei! Aber ich bin nicht dadurch erbaut. Man 
      lehrte mich: Liebkosungen sein wie Ketten, stark durch 
      ihre Verwandtschaft, und Mädchen, wenn sie liebten, 
      sein schwächer als Simson nach Verlust seiner Locken. 
    W e i s l i n g e n. Wer lehrte Euch das? 
    M a r i a. Die Äbtissin meines Klosters. Bis in mein sech- 
      zehntes Jahr war ich bei ihr, und nur mit Euch emp- 
      find ich das Glück, das ich in ihrem Umgang genoß. 
      Sie hatte geliebt und durfte reden. Sie hatte ein Herz 
      voll Empfindung! Sie war eine vortreffliche Frau. 
    W e i s l i n g e n. Da glich sie dir! (Er nimmt ihre Hand.) 
      Wie wird mir's werden, wenn ich Euch verlassen soll! 
    M a r i a (zieht ihre Hand zurück). Ein bißchen eng, 
      hoff ich, denn ich weiß, wie's mir sein wird. Aber Ihr 
      sollt fort. 
    W e i s l i n g e n. Ja, meine Teuerste, und ich will. Denn 
      ich fühle, welche Seligkeiten ich mir durch dies Opfer 
      erwerbe. Gesegnet sei dein Bruder, und der Tag, an 
      dem er auszog, mich zu fangen! 
    M a r i a. Sein Herz war voll Hoffnung für ihn und 
      dich. »Lebt wohl!« sagt' er beim Abschied, »ich will 
      sehen, daß ich ihn wiederfinde.« 
    W e i s l i n g e n. Er hat's. Wie wünscht ich, die Ver- 
      waltung meiner Güter und ihre Sicherheit nicht durch 
      das leidige Hofleben so versäumt zu haben! Du könn- 
      test gleich die Meinige sein. 
    M a r i a. Auch der Aufschub hat seine Freuden. 
    W e i s l i n g e n. Sage das nicht, Maria, ich muß sonst 
      fürchten, du empfindest weniger stark als ich. Doch 
      ich büße verdient; und welche Hoffnungen werden 
      mich auf jedem Schritt begleiten! Ganz der Deine zu 
      sein, nur in dir und dem Kreise von Guten zu leben, 
      von der Welt entfernt, getrennt, alle Wonne zu ge- 
      nießen, die so zwei Herzen einander gewähren. Was  
      ist die Gnade des Fürsten, was der Beifall der Welt 
      gegen diese einfache Glückseligkeit? Ich habe viel ge- 
      hofft und gewünscht, das widerfährt mir über alles 
      Hoffen und Wünschen. 
    (Götz kommt.) 
    G ö t z. Euer Knab ist wieder da. Er konnte vor Müdig- 
      keit und Hunger kaum etwas vorbringen. Meine Frau 
      gibt ihm zu essen. So viel hab ich verstanden: der Bi- 
      schof will den Knaben nicht herausgeben, es sollen 
      Kaiserliche Kommissarien ernannt und ein Tag ausge- 
      setzt werden, wo die Sache dann verglichen werden 
      mag. Dem sei, wie ihm wolle, Adelbert, Ihr seid frei; 
      ich verlange weiter nichts als Eure Hand, daß Ihr ins- 
      künftige meinen Feinden weder öffentlich noch heim- 
      lich Vorschub tun wollt. 
    W e i s l i n g e n. Hier faß ich Eure Hand. Laßt, von 
      diesem Augenblick an, Freundschaft und Vertrauen, 
      gleich einem ewigen Gesetz der Natur, unveränderlich 
      unter uns sein! Erlaubt mir zugleich, diese Hand zu 
      fassen (er nimmt Mariens Hand) und den Besitz des 
      edelsten Fräuleins. 
    G ö t z. Darf ich ja für Euch sagen? 
    M a r i a. Wenn Ihr es mit mir sagt. 
    G ö t z. Es ist ein Glück, daß unsere Vorteile diesmal 
      miteinander gehn. Du brauchst nicht rot zu werden. 
      Deine Blicke sind Beweis genug. Ja denn, Weislingen! 
      Gebt Euch die Hände, und so sprech ich Amen! - 
      Mein Freund und Bruder! - ich danke dir, Schwester! 
      Du kannst mehr als Hanf spinnen. Du hast einen Fa- 
      den gedreht, diesen Paradiesvogel zu fesseln. Du siehst 
      nicht ganz frei, Adelbert! Was fehlt dir? Ich - bin 
      ganz glücklich; was ich nur träumend hoffte, seh ich, 
      und bin wie träumend. Ach! nun ist mein Traum aus. 
      Mir war's heute nacht, ich gäb dir meine rechte eiserne 
      Hand, und du hieltest mich so fest, daß sie aus den 
      Armschienen ging wie abgebrochen. Ich erschrak und 
      wachte drüber auf. Ich hätte nur fortträumen sollen, 
      da würd ich gesehen haben, wie du mir eine neue le- 
      bendige Hand ansetztest - Du sollst mir jetzo fort, 
      dein Schloß und deine Güter in vollkommenen Stand  
      zu setzen. Der verdammte Hof hat dich beides ver- 
      säumen machen. Ich muß meiner Frau rufen. Elisabeth! 
    M a r i a. Mein Bruder ist in voller Freude. 
    W e i s l i n g e n. Und doch darf ich ihm den Rang strei- 
      tig machen. 
    G ö t z. Du wirst anmutig wohnen. 
    M a r i a. Franken ist ein gesegnetes Land. 
    W e i s l i n g e n. Und ich darf wohl sagen, mein Schloß 
      liegt in der gesegnetsten und anmutigsten Gegend. 
    G ö t z. Das dürft Ihr, und ich will's behaupten. Hier 
      fließt der Main, und allmählich hebt der Berg an, der, 
      mit Äckern und Weinbergen bekleidet, von Euerm 
      Schloß gekrönt wird, dann biegt sich der Fluß schnell 
      um die Ecke hinter dem Felsen Eures Schlosses hin. 
      Die Fenster des großen Saals gehen steil herab aufs 
      Wasser, eine Aussicht viel Stunden weit.  | 
    S. 29 
      
      
      
    35 
      
      
    S. 30 
      
      
      
     5 
      
      
      
      
    10 
      
      
      
      
    15 
      
      
      
      
    20 
      
      
      
      
    25 
      
      
      
      
    30 
      
      
      
      
    35 
      
      
      
      
    40 
    S. 31 
      
      
      
     5 
      
      
      
      
    10 
      
      
      
      
    15 
      
      
      
      
    20 
      
      
      
      
    25 
      
      
      
      
    30 
      
      
      
      
    35 
      
      
      
      
    40 
    S. 32 
      
      
      
     5 
      
      
      
      
    10 
      
      
      
      
    15  | 
  
Arbeitsanweisungen
Ordnen Sie die vorliegende Textstelle in das Gesamtwerk ein.
  
Interpretieren Sie den Inhalt der Textstelle und stellen Sie dabei heraus, wie uns
    Goethe den Charakter seines Helden beschreibt.
  Stellen Sie dar, wie sich das Verhältnis zwischen Maria und Weislingen im Verlaufe der
    Handlung ändert.
Lösungsvorschlag von Ingo FALK
Johann Wolfgang Goethe dramatisierte 1771 in seinem Werk "Götz
von Berlichingen" die Denkwürdigkeiten des Ritters Götz, dessen Lebensbeschreibung
1731 erschienen war und offenbar die Fantasie des jungen Dichters der Sturm und Drang
Epoche beflügelte.
In der vorliegenden Textstelle spielt sich der Heiratsantrag Adelberts
von Weislingen an Götzens Schwester Maria ab. Weislingen ist Götzens Gefangener auf
Schloss Jagsthausen, nachdem er, obwohl ebenfalls ein Freiherr wie Götz von Berlichingen,
als Vasall des Bischofs von Bamberg infolge einer Fehde zwischen dem Bischof und Götz in
dessen Hände gefallen war. Weislingen ist also eigentlich Götzens unmittelbarer
Gegenspieler in diesem Konflikt.
Die Szene setzt ein mit einem Dialog zwischen Weislingen und Maria, in
dem Maria offenbar auf die Liebeserklärung Weislingens antwortet (Seite 29, Zeile 31ff.). Weislingen, der sich sicherlich Vorteile für
seine Situation als Gefangener erhofft, gibt sich ganz als großer Liebhaber, der seiner
Angebeteten schmeichelt (Seite 29, Zeile 36ff.).
Maria, die allzu große Zudringlichkeit mit dem Verweis auf "Bedingungen" (Seite 30, Zeile 4) zurückweist, hat bereits vom Ruf
Weislingens als Frauenheld durch ihren Bruder erfahren und ist sich der Gefahr bewusst. In
diesem Moment und im weiteren Verlauf der Handlung zeigt sich deutlich, dass die beiden
Frauen - Götzens Frau Elisabeth und seine Schwester Maria - die weitaus vorsichtigeren
Charaktere im gesamten Drama darstellen. Im Folgenden führt Maria Lehren aus der Zeit, in
der sie in einem Kloster aufwuchs, an, nach denen "Liebkosungen [...] wie
Ketten" (Seite 30, Zeile 8) seien und nimmt
mögliche Einwände Weislingens gleich vorweg, in dem sie sagt, die Äbtissin des Klosters
sei nicht weltfremd gewesen, sondern hätte aus Selbsterfahrung gelehrt (Seite 30, Zeile 12ff.). Als Maria anschließend ihre
Hand von Weislingen zurückzieht, bekräftigt sie ihre Zweifel (Seite 30, Zeile 19). Hände haben auch später in dieser Szene noch
große symbolische Bedeutung.
Nun erwähnt Maria, dass ihr Bruder bereits hoffte, seinen alten
Jugendfreund "wiederzufinden" (Seite 30, Zeile
28), als er in die Fehde auszog. Hier kommt klar das unvoreingenommene, gutgläubige
Wesen Götzens zum Vorschein, der selbst in seinen erbittertsten Widersachern noch das
Gute sieht. Die Äußerung Weislingens, erst "die Verwaltung" seiner
"Güter" (Seite 30, Zeile 29ff.) in Ordnung
bringen zu müssen, entlarvt seine Karrieresucht und relativiert seine Schmeicheleien.
Maria erkennt dies und mit den Worten, "auch der Aufschub hat seine Freuden" (Seite 30, Zeile 33) stellt sie ihn auf die Probe. Jedoch
auch sie erhofft sich Gewinn aus dieser Beziehung, denn Weislingen stellt für sie einen
Mann von Welt dar - im Gegensatz zu ihrer eigenen Perspektive in der Obhut ihres Bruders
auf Schloss Jagsthausen.
Jetzt betritt Götz die Bildfläche mit der Nachricht, dass der Knabe
Weislingens gekommen sei (Seite 31, Zeile 5f.). Auch
in dieser Situation zeigt Götz von Berlichingen mehrfach seinen Charakter der offenen und
ebenso naiven Mitmenschlichkeit. Er lässt den Knaben seines einstigen Widersachers von
seiner Frau bewirten, während dieser ihm auch noch schlechte Nachrichten vom Verbleib
seines eigenen Knaben, der sich in der Gewalt des Bischofs befindet, verkündet (Seite 31, Zeile 5ff.). Anschließend reicht er - Götz -
Weislingen die Hand und erklärt ihn für frei, verlangt dafür jedoch lediglich dessen
Ehrenwort (Seite 31, Zeile 12ff.). Weislingen greift
allerdings nicht nur nach Götzens Hand, sondern hält gleichzeitig auch noch um die Hand
seiner Schwester Maria an (Seite 31, Zeile 16ff.).
Als Götz Maria fragt, ob sie denn auch wolle, prallen seine Gutgläubigkeit einerseits,
die Zweifel seiner Schwester und die offensichtliche Falschheit Weislingens offen
aufeinander (Seite 31, Zeile 22ff.).
In der Folge wird selbst der unheilvolle Traum der vorangegangenen
Nacht von Götz falsch gedeutet - er ist sogar am Tag "wie träumend" (Seite 31, Zeile 33). In diesem Moment, die Szene gehört
noch zur Exposition des Dramas, wird uns Götz von Berlichingens Wesen mit all seinen
Fehlern eindrucksvoll beschrieben - alle Zweifel werden von unerschütterlichem Optimismus
weggewischt. Auch als er selbst andeutet, dass Weislingens Güter in solch schlechtem
Zustand seien, dass sie wohl kaum eine Familie ernähren könnten, lässt er sich wieder
bei der Beschreibung dessen geografischer Lage einlullen (Seite
31, Zeile 39ff.). Er ist, wie seine Schwester Maria anmerkt, "in voller
Freude" (Seite 32, Zeile 3) und ohne Blick für
die Realität.
Doch Maria wird bitter enttäuscht werden, denn Weislingen lässt sie
schon bald sitzen und zieht ihr die schönere, reichere und einflussreichere Adelheid von
Walldorf vor. Obwohl Maria später einen anderen heiratet, zeigt sie am Ende der Handlung
immer noch Zuneigung für Weislingen, in dem sie ihm, trotzdem das Leben ihres Bruders von
Weislingen abhängt, Trost spendet, da dieser seinen Fehler, auf die kaltherzige Adelheid
hereingefallen zu sein, erkennt - und mit dem Leben bezahlt. Das lässt ihre
geschwisterliche Seelenverwandtschaft zu Götz von Berlichingen erkennen.
Die bittere Ironie dieser Szene (Seite 105, Zeile 11ff.) wurde von
Goethe ganz bewusst gewählt. Dem einstigen Frauenheld Weislingen wird ausgerechnet von
der Frau, die er ins Unglück stürzte, in seiner Todesstunde vor Augen geführt, dass der
wahre Ritter sich durch Barmherzigkeit auszeichnet. Seine innere Zerrissenheit lässt ihn
zunächst an Wahn glauben, doch der "Engel des Himmels" der ihm die "Qualen
der Hölle" (Seite 105, Zeile 20f.) bringt, ist wahrhaftig erschienen, um Götzens
Begnadigung zu erbitten. Doch nicht nur sprachlich macht Goethe dabei den Gegensatz der
Figuren deutlich. Weislingen kann Maria das Gnadengesuch für Götz nicht ablehnen,
während er selbst durch das Gift von Adelheid stirbt.
 
  
    Literarischer
    Aufsatz 2
     | 
  
  
    | Textstelle: Seite 58, Zeile 22 -
    Seite 59, Zeile 38 | 
  
  
    (Götz kommt.) 
    S i c k i n g e n. Was bringt Ihr, Schwager? 
    G ö t z. In die Acht erklärt! 
    S i c k i n g e n. Was? 
    G ö t z. Da lest den erbaulichen Brief. Der Kaiser hat 
      Exekution gegen mich verordnet, die mein Fleisch den 
      Vögeln unter dem Himmel und den Tieren auf dem 
      Felde zu fressen vorschneiden soll. 
    S i c k i n g e n. Erst sollen sie dran. Just zur
    gelegenen 
      Zeit bin ich hier. 
    G ö t z. Nein, Sickingen, Ihr sollt fort. Eure großen An- 
      schläge könnten darüber zugrunde gehn, wenn Ihr zu so 
      ungelegner Zeit des Reichs Feind werden wolltet. Auch 
      mir werdet Ihr weit mehr nutzen, wenn Ihr neutral zu 
      sein scheint. Der Kaiser liebt Euch, und das Schlimm- 
      ste, das mir begegnen kann, ist, gefangen zu werden; 
      dann braucht Euer Vorwort und reißt mich aus einem 
      Elend, in das unzeitige Hülfe uns beide stürzen könnte. 
      Denn was wär's? Jetzo geht der Zug gegen mich; er- 
      fahren sie, du bist bei mir, so schicken sie mehr, und 
      wir sind um nichts gebessert. Der Kaiser sitzt an der 
      Quelle, und ich wär schon jetzt unwiederbringlich 
      verloren, wenn man Tapferkeit so geschwind einblasen 
      könnte, als man einen Haufen zusammenblasen kann. 
    S i c k i n g e n. Doch kann ich heimlich ein zwanzig 
      Reiter zu Euch stoßen lassen. 
    G ö t z. Gut. Ich hab schon Georgen nach dem Selbitz 
      geschickt, und meine Knechte in der Nachbarschaft 
      herum. Lieber Schwager, wenn meine Leute beisam- 
      men sind, es wird ein Häufchen sein, dergleichen we- 
      nig Fürsten beisammen gesehen haben. 
    S i c k i n g e n. Ihr werdet gegen die Menge wenig sein. 
    G ö t z. Ein Wolf ist einer ganzen Herde Schafe zu viel. 
    S i c k i n g e n. Wenn sie aber einen guten Hirten haben? 
    G ö t z. Sorg du. Es sind lauter Mietlinge. Und dann 
      kann der beste Ritter nichts machen, wenn er nicht 
      Herr von seinen Handlungen ist. So kamen sie mir 
      auch einmal, wie ich dem Pfalzgrafen zugesagt hatte, 
      gegen Konrad Schotten zu dienen; da legt' er mir 
      einen Zettel aus der Kanzlei vor, wie ich reiten und 
      mich halten sollt; da warf ich den Räten das Papier 
      wieder dar und sagt: ich wüßt nicht darnach zu hand- 
      len, ich weiß nicht, was mir begegnen mag, das steht 
      nicht im Zettel, ich muß die Augen selbst auftun und 
      sehn, was ich zu schaffen hab. 
    S i c k i n g e n. Glück zu, Bruder! Ich will gleich fort 
      und dir schicken, was ich in der Eil zusammentreiben 
      kann. 
    G ö t z. Komm noch zu den Frauen, ich ließ sie beisam- 
      men. Ich wollte, daß du ihr Wort hättest, ehe du 
      gingst. Dann schick mir die Reiter, und komm heimlich 
      wieder, Marien abzuholen, denn mein Schloß, fürcht 
      ich, wird bald kein Aufenthalt für Weiber mehr sein. 
    S i c k i n g e n. Wollen das Beste hoffen. (Ab.)  | 
    S. 58 
      
      
    25 
      
      
      
      
    30 
      
      
      
      
    35 
      
      
    S. 59 
      
      
      
     5 
      
      
      
      
    10 
      
      
      
      
    15 
      
      
      
      
    20 
      
      
      
      
    25 
      
      
      
      
    30 
      
      
      
      
    35  | 
  
Arbeitsanweisungen
  - Ordnen Sie die Textstelle in den Gesamtzusammenhang des Werkes ein.
 
  - Interpretieren Sie; arbeiten Sie dabei insbesondere Götzens Charakter heraus.
 
  - Zeigen Sie auf, was für eine Auffassung vom Rittertum Götz hat und weshalb er mit
    einer solchen Auffassung scheitern muss.
 
Lösungsvorschlag von Ingo FALK
Das Drama "Götz von Berlichingen" wurde von Johann Wolfgang
Goethe zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember 1771 geschrieben und dramatisiert die
Lebensbeschreibung des Ritters Götz.
Die vorliegende Textstelle beschreibt die Situation, in der Götzens
Freund Franz von Sickingen mit seiner Schwester Maria verlobt wird und er gleichzeitig von
der Verhängung der Reichsacht gegen ihn erfährt. Maria, die von Weislingen ins
Liebesunglück gestoßen wurde, ist offenbar in ihrer Verfassung leicht empfänglich für
männliche Zuneigung.
Die Achterklärung gegen Götz geht auf seine Händel mit der freien
Reichsstadt Nürnberg zurück und wurde vor allem von seinem Kontrahenten Weislingen
forciert, der Götzens Ansehen aus Neid schmälern will.
Die Szene setzt ein, als Götz seinem zukünftigen Schwager Sickingen
mitteilt, dass ihm die Acht erklärt wurde, indem er ihm den kaiserlichen Brief zeigt (Seite 58, Zeile 22ff.). Als Sickingen ihm sofort seine
militärische Hilfe anbietet (Seite 58, Zeile 30),
zeigt sich deutlich, wer seine wahren Freunde sind. Sie sind aus demselben Holz wie Götz
geschnitzt, geradlinig und hilfsbereit, ohne Rücksicht auf eigene Gefahren - ein solches
Angebot hätte er von seinem einstigen Jugendfreund Weislingen nie gemacht bekommen.
Daraufhin lehnt Götz jedoch ebenso uneigennützig ab, da er weiß,
dass Sickingen ein hohes Ansehen bei Kaiser Maximilian genießt, bisher unbescholten ist
und darüber hinaus höhere politische Ziele verfolgt, die durch eine offene
Parteiergreifung für Götz gefährdet wären. Außerdem erhofft er sich durch dessen
Einfluss spätere Hilfe in seiner vertrackten Situation (Seite
58, Zeile 32ff.).
Bei seinen Ausführungen verharmlost Götz die Gefahr, die von der
drohenden Reichsexekution ausgeht, indem er die fehlende "Tapferkeit" (Seite 59, Zeile 7) der Helfer seiner Gegner
herausstreicht und davon ausgeht, dass man seine militärischen Fähigkeiten sicher
unterschätzen werde. Einmal mehr wird hier Götzens unerschütterlicher Optimismus
sichtbar (Seite 59, Zeile 5ff.).
Nun von Sickingen auf seine zahlenmäßige Unterlegenheit angesprochen,
entgegnet Götz von Berlichingen mit einer symbolischen Darstellung seiner Stärken, die
mehrfach in diesem Drama auftaucht und von großer Bedeutung ist. Er sagt: "Ein Wolf
ist einer ganzen Herde Schafe zu viel" (Seite 59,
Zeile 17). Als den Wolf sieht er sich selbst, der, gleichsam den einfachen
Naturgesetzen folgend, auf Nahrungssuche seine Beute reißt und dabei die - unnatürliche
- Ordnung des Menschen, in der der Erwerb der Besitzergreifung vorausgeht, ignoriert. Hier
versinnbildlicht Johann Wolfgang Goethe das Aufeinanderprallen der verschiedenen
Rechtsordnungen am Ende des Mittelalters. Der althergebrachten Rechtsauffassung Götz von
Berlichingens, in der das Faustrecht gilt und spontane, instinktive Entscheidungen
dominieren, wird die moderne Auffassung des Reichsfriedensrechts nach den Grundsätzen der
römischen Rechtsprechung gegenübergestellt, bei der nach festgelegten Normen und Schemen
Entscheidungen getroffen werden. Mit der Charakterzuordnung der Personen des Dramas zu den
jeweiligen Rechtsnormen macht Goethe deutlich, dass Götz dieses "neue Recht"
höchst zuwider ist.
Auch im weiteren Verlauf dieser Szene wird das Handeln nach
Verhaltensmustern abgelehnt, als nämlich Götz anmerkt, dass das militärische Vorgehen
nach vorgeschriebenen Schlachtplänen, wie es von den Truppen der Reichsexekution zu
erwarten ist, letztlich nicht zum Erfolg führen kann (Seite
59, Zeile 19ff.), lässt es doch die individuellen Begebenheiten der jeweiligen
Situation außer Acht.
In der Folge gibt Götz selbst zu, dass er in großer Gefahr ist, denn
er möchte seine Schwester Maria bald in sicherer Obhut seines Freundes Sickingen und
nicht in seinem Schloss wissen (Seite 59, Zeile 33ff.).
Wieder zeigt sich Götzens Charakter der Selbstlosigkeit. Indem er die Gefahren für sich
selber leugnet oder über sie hinweggeht, lässt sich erahnen, dass er kein gutes Ende
nehmen werde. Sein gestörtes Verhältnis zur Realität dieser eher als schlecht
dargestellten Welt muss letztlich zum Scheitern führen und das erste große Unglück mit
der Belagerung seines Schlosses Jagsthausen und seiner anschließenden Gefangennahme wird
schon bald folgen.
Analog zu den Gegensätzen in den Rechtsauffassungen stellt Goethe in
seinem Drama auch die völlig konträren Charaktere der Figuren Götz von Berlichingen auf
der einen und Adelbert von Weislingen auf der anderen Seite gegenüber. Götz verkörpert
den Helden, der mit den ritterlichen Tugenden Erbarmen, Milde, Ehre, Treue und
ritterliches Benehmen ausgestattet ist und Gleichgesinnte wie den hier in Erscheinung
tretenden Franz von Sickingen um sich schart. Sein Gegenpart Weislingen, der sogar
gemeinsam mit Götz am Markgräfischen Hof erzogen wurde (Seite 20, Zeile 37ff.), hat ihm
in fast allen Charakterbeschreibungen des Dramas (z. B. Seite 21, Zeile 31ff.) nur
negative Eigenschaften entgegenzusetzen. Vor allem aber fehlt ihm im Vergleich zu Götz,
Selbitz oder Sickingen ein wesentliches Merkmal eines Ritters: der Drang nach Freiheit und
Unabhängigkeit (Seite 23, Zeile 36ff.). Stattdessen hat er sich aus Karieresucht zum
"Vasallen" und "ersten Hofschranzen eines eigensinnigen neidischen
Pfaffen" (Seite 22, Zeile 4ff.), nämlich dem Bischof von Bamberg gemacht.
Die Tragik des Helden Götz von Berlichingen liegt jedoch in seinen
eigenen Tugenden begründet. Er erwartet von Adelbert von Weislingen die selbe ritterliche
Treue und Loyalität, die ihm selbst zu eigen ist, als er lediglich dessen
"Hand" (Seite 31, Zeile 13ff.) darauf
verlangt, ihm künftig keinen Schaden mehr zuzufügen und Weislingen obendrein die
"Hand" (Seite 31, Zeile 19ff.) seiner
Schwester Maria dazu verspricht. Goethes Held wird Opfer seiner Tugendhaftigkeit.