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        Als ich in
        sein Zimmer kam, saß er mit verschränkten Armen im Sessel und blickte mir 
        auf eine Weise entgegen, als käme ich reichlich spät. Ich wußte nicht, ob ich ihm
        sämt- 
        liche Briefe Elles nachträglich zu lesen geben sollte; eine Folge davon konnte sein, daß 
        die vielen Briefe ihn eher bedrückten als freuten. Er wartete
        aber nicht auf Tröstung und wies mir mit dem Kinn einen Stuhl an, Ich fragte: 
        "Was gibt es?"  
        Er tat erstaunt, zeigte mit allen Fingern auf sich und sagte: "Habe
        ich dich gerufen?" 
        "Soll ich wieder gehen?"  
        Ich kann nur hoffen, daß seine Sucht, jede Erorterung zu komplizieren
        und mit tausend 
        Empfindlichkeiten zu belasten, sich nicht auf mich vererbt hat: sie hat uns die
        einfachsten 
        Gespräche oft zur Tortur werden lassen. 
        "Ich hatte keine Ahnung, daß sie dir nicht schreibt", sagte
        ich. "Sonst hätte ich ..." 
        Er unterbrach mich, er sagte: "Heb dir dein Verständnis für
        hessere Gelegenheiten auf. 
        Ich kann mir vorstellen, daß du über etwas anderes sprechen willst." 
        "Da stellst du dir was Falsches vor." 
        "Um so besser." 
        Noch eine andere seiner Eigenarten behinderte normale Gespräche: wenn
        man ihm etwas 
        erzählte, unterbrach er einen fortwährend mit Vermutungen darüber, wie die Erzählung 
        weiterging. Manchmal mufßte ich mir den Weg durch seine Zwischenfragen und Progno- 
        sen regelrecht freikämpfen, bevor ich eine Geschichte oder eine Mitteilung zum Ende 
        bringen konnte. Diese Angewohnheit war zeitraubend, nicht selten trug sie aber auch zu 
        meiner Unterhaltung bei: denn es kam vor, daß seine Vermutungen besser waren als das, 
        was ich erzählen wollte. 
        lch hätte stundenlang geschwiegen, er sagte; "Ein bißchen mehr
        Zorn auf Lumpen und 
        Mörder könntest du ruhig haben." 
        "Wovon sprichst du?" 
        "Warum bist du so gleichgültig?" fragte er. "Warum macht
        es dich nicht böse, wenn du 
        an ihre Opfer denkst." Ich meine nicht nur die Toten, ich meine auch Leute wie mich
        und 
        Elle. Ein bißchen mehr Aufgeregtheit bitte." 
        Er klopfte seine Taschen ab, als suchte er nach Zigaretten; dann fiel
        ihm ein, daß er ja 
        nicht mehr rauchte, und er stellte das Suchen ein. Er sagte: "Weißt denn du nicht,
        auf 
        welche Weise Elle zu ihrer Krankheit gekommen ist?" 
        "Das weiß niemand." 
        "Wie kannst du so etwas behaupten." 
        Es folgte eine Schilderung der Kinderjahre Elles, die ich nicht zum
        erstenrnal hörte. Ich 
        saß ihm kühl und skeptisch gegenüber, während er in der Erinnerung versank. Die erwar- 
        tete Rührung überkam ihn, als seine kleine Tochter zu fremden, geldgierigen Leuten ins 
        Versteck gegeben wurde. Und als nach der Befreiung aus der immer 
		vergnügten Elle ein 
        mißtrauisches, hartes und reizbares Mädchen geworden war, mußte er mit den Tränen 
        kämpfen. Auch wenn Elle sich noch nie dazu geäußert hatte, gab es fur Vater keinen 
        Zweifel, daß sie die Leute, die sie anfiel, für solche hielt, vor denen man sie damals
        hatte 
        verstecken müssen. 
        Als er fertig war, fragte ich, ob inzwischen eine Entscheidung gefallen
        sei, was weiter mit 
        dem Gefangenen geschehen solle. Vater starrte mich an, als wäre meine Frage an den 
        Haaren herbeigezogen. 
        Ich sagte: "Ihr habt euch mit diesern Mann eine Last aufgeladen,
        die ihr nicht tragen 
        könnt. Ihr erledigt euch selbst und merkt es nicht einmal." 
        "Man trifft selten jemanden, der achtzehn ist und schon so
        lebenserfahren wie du", sagte 
        Vater. 
        "Du hast behauptet, daß den Gerichten ein solcher Fall nicht
        zusteht", sagte ich: "daß sie 
        den Mann nur deshalb verurteilen würden, weil ihnen nichts anderes übrigbliebe. Und das 
        ist einfach falsch." 
        "Dann laß es falsch sein."  |